Knotenpunkte im Leben

Glückritter, Spieler

und Paradiessehnsüchte

Glücksritter, Spieler und Paradiessehnsüchte

Kosmischer Tanz

Heute ist Freitag oder sonst ein Tag in der Woche.

Wer von Ihnen hat heute schon Lotto gespielt?

Laut einer Statistik spielen in Deutschland 16% der Menschen regelmäßig Lotto, 37% gelegentlich. Also über die Hälfte der Bevölkerung spielt ein Glücksspiel. Daneben haben wir die Lotterien, die Glücksspirale, Aktion Mensch, die Klassenlotterien.

Alles Glücksspiele an denen große Teile der Bevölkerung beteiligt sind.

Das Spielen, Glücksspielen ist u.a. auch immer mit einer irgendwie gearteten Glückssuche verbunden, d.h. der Suche nach einem erfüllten Leben.

In diesem Aufsatz sollen exemplarische „Typen“ von Spielern und damit auch Glückssuchern und ihre Motivationen beschrieben werden.

Wie suchen wir heutzutage das Glück?

Der Lottogewinn – natürlich 6 Richtige – führt uns aus materiellen Entbehrungen.

Die richtige Windel verspricht den Eltern ein glückliches Kind

Mit dem richtigen Auto erfüllen wir uns den Traum des glücklichen Weges

Wenn wir in den Robinson-Club fahren, werden uns alle Lasten des Alltags abgenommen, unsere Wünsche nach Wärme, Leichtigkeit und erotischen Begegnungen verheißen zwei Wochen glücklichen Urlaub

Am Bahnhof hier in Hannover entsteht ein neues Glückszentrum, wenn man den Reklametafeln glaubt: das neue Casino schreibt „hier zieht demnächst Fortuna ein“.

Und natürlich suchen wir auch Glück durch Yoga, die Religionen. Ich werde glücklich, indem ich anderen Menschen helfe (Psychos, Patenschaften für Kinder in der 3.Welt), die Sinn- oder Glückssuche erfolgt auf unterschiedlichsten Wegen

So lassen wir entweder Fortuna ihren Glücksbecher ausschütten, für uns die richtigen Zahlen bereithalten oder wir nehmen das Glück scheinbar in die eigenen Hände: unter dem Deckmantel von Bildung wird Lotto gespielt bei „Wer wird Millionär“ und mittlerweile zahllosen Quizsendungen im Massenmedium Fernsehen.

Oder wir spekulieren an der Börse oder suchen per Internet den richtigen Mann, die richtige Frau, die uns ein glückliches Leben zu zweit versprechen. (Zitat aus einem Text einer Partnerschaftsanzeige: Glück lässt sich nicht erzwingen, aber nachhelfen kann man.)

Die Sehnsucht nach Freiheit von Konflikten, Leiden und Entbehrungen ist ein ewiger Menschheitstraum von größter seelischer Wirksamkeit. Es ist der Traum vom großen Glück, von einem Zustand, der sich z.B. in fast allen Kulturen im Mythos vom Paradies veranschaulicht. In diesen Paradiesen fliegen den Trägen die gebratenen Tauben in den Mund, es gibt ein Einssein mit den Tieren, die Erde ist ewig fruchtbar und die Menschen sind noch nicht von den Göttern getrennt, es gibt wunderschöne Gärten, das Wasser des Lebens fliesst und der Baum des ewigen Lebens wächst.

Zwischen der Welt der inneren Wunschvorstellungen und der realen Welt gibt es keine Diskrepanz. Die innere Welt der Wunschvorstellungen und Wünsche und die äußere reale Welt sind in Deckungsgleichheit. Es sind die Vorstellung und das Gefühl, die Erich Neumann als die Einheitswirklichkeit bezeichnet. (1)

Zwei Figuren, die für die Glückssuche stehen, vielleicht auch in Ihrer Suche nach diesem Gefühl von Einheitswirklichkeit oder auf der Suche nach dem mythologischen Leben, sind der Glücksritter und der Spieler.

Der Glücksritter

Der Glücksritter: im Herkunftswörterbuch steht „der Abenteurer, der auf Glück ausgeht“.

Wenn Sie das Wort „Glücksritter“ hören an wen denken Sie dann?

Bei meiner Vorbereitung habe ich natürlich auch das Internet befragt. Da gibt es bei der Suchmaschine „Google“ 172.00 Einträge.

Da wird ein Hamburger Aktienclub aufgeführt, der sich die „Glücksritter-Invest“ nennt, neben zahlreichen anderen Vereinen, die diesen Namen tragen: sie spielen Skat, handeln mit Aktien, organisieren Schützenumzüge.

Hier zwei Pressezitate: Casinos werden als die neuen Burgen der modernen Glücksritter benannt,

Frankfurter Rundschau vom 15. September 2008 über den wachsenden Anteil der Leih- und Teilzeitarbeit „Der Boom der Branche hat zahlreiche Glücksritter angezogen, die mit dem Handel der Ware Mensch schnelles Geld verdienen wollen“ oder

„Deutsche Glücksritter in Dubai: wer es hier schafft, hat ausgesorgt, und weil sie daran glauben, ziehen immer mehr Deutsche in den Wüstenstaat.“

Diese Zitate finden wir in den Wirtschaftsteilen der Zeitungen.

Ein Film, der in den 90er Jahren sehr erfolgreich war, trägt den Titel „Die Glücksritter“ und handelt davon was passiert, wenn ein Börsenmagnat einen Gelegenheitsdieb kennenlernt. Beide wollen dasselbe und lernen voneinander: schnell zu Geld und Macht kommen.

In dem Film „Der Clou“, ein Klassiker aus den 70er Jahren, gewinnen Paul Newman und Robert Redford ein Pokerspiel mit intelligenten Tricksereien.

In dem mythischen Filmzyklus „Krieg der Sterne“ gibt es eine Hauptfigur „Han Solo“, ein Glücksritter, Schmuggler, Meisterdieb und Meisterflieger, immer auf der Suche nach dem nächsten Abenteuer. Hier wird er eher unfreiwillig der geschickte Helfer gegen „die dunkle Macht“.

Wenn wir mal die Moral beiseite lassen, ist der „Glücksritter“ für uns auch immer eine schillernde und faszinierende Gestalt: er hat mit Abenteuern zu tun, sucht sein Glück oftmals auf gefährlichen Wegen, oft am Rande der Kriminalität.

So gibt es zumindest im Englischen sogar mehrere Begriffe für diese Doppelnatur: Soldier of Fortune, Chevalier of Fortune und für die zwielichtige Seite: Shady Fortune Hunter.

Zu den Glücksrittern zähle ich auch historische Gestalten wie Christoph Columbus: eine Mischung aus Abenteurer und Goldsucher. Er war fest davon überzeugt, grosse Reiche, Inseln und ein Festland, überreich an Gold und Silber zu entdecken. Er hatte die Idee Indien vom Westen her zu erreichen, sah sich als „Grossadmiral des Ozeanischen Meeres“ . Neben persönlichen Motiven war Columbus wohl vom Entdecker- und Abenteurermythos erfasst.

Joseph von Eichendorf beschreibt in seiner Erzählung „Die Glücksritter“ (2) verschiedene Typen. Die Erzählung spielt kurz nach dem Ende des 30jährigen Krieges. Der erste Protagonist ist ein Wanderer, der immer versucht „Fortunas Haarzopf zu fassen“ als Musiker, Hochstapler. Er will letztlich nicht sesshaft werden und :“ er will das Glück nicht mit Grübeln verscheuchen“. Zum Schluss zieht er mit seiner Liebsten durch die Lande.

Daneben gibt es Figuren, die Eichendorf „Fortunas Knappen“ nennt. Es sind Soldaten, die sich nach Ende des Krieges mit Diebereien durchschlagen und ebenfalls – hier ungewollt – heimatlose Gesellen sind.

Der Glücksritter ist also immer auf dem Weg, kennt kein Zuhause.

Vielleicht ist er vom Archetyp des Gottes Hermes/Merkur erfasst oder beseelt.

Hermes gilt ja auch als der Gott der Wege und damit auch als der Gott der Menschen, die ebenso wie er aus den verschiedensten Gründen unterwegs sind: Wanderer und Reisende, Händler, Kaufleute, aber auch Abenteurer, Agenten und Landstreicher sowie alle derjenigen, die aus den verschiedensten Gründen auf dem Weg, auf der Reise zu sich selbst sind. (3)

Der Spieler

Der Spieler – im Gegensatz zum Glücksritter – bleibt im Grunde unbeweglich, auch wenn er von einem Spielplatz zum nächsten zieht. Spielplätze sind Casinos, Spielhallen, Spieltische, der Computer mit seinen unendlichen Spielen, die Börse.

Der Spieler begibt sich immer wieder in die ewige Zeit des Spieles, jedes Spiel ist im Grunde gleich, die äußere Zeit bleibt stehen

Es gibt unterschiedliche Spiele: reine Glücksspiele, wie z.B. Lotterien. Oder das Spiel am Automaten, wo allein der Zufall der Maschine entscheidet. Dann das Spiel am Kartentisch, an dem der Spieler glaubt, durch eigene Geschicklichkeit Fortuna am Schopf packen zu können. In den endlosen Computerspielen, in denen der Spieler durch Geschicklichkeit eine immer höhere Ebene zu erreichen sucht. Oder auch die Börse, wo der Spieler glaubt, durch Intelligenz und Intuition auf die richtigen Aktien oder Zertifikate zu wetten.

Was gilt es zu gewinnen? Geld oder auch Geltung.

In der Literatur und im Film begegnen uns Spieler:

So bei Dostojewski die Figur des Alexei Iwanowitsch.(4) Iwanowitsch ist Lehrer im Hause eines Generals und hat damit eine niedrige Stellung. Er ist verliebt in die Stieftochter, die aber durch seine untergeordnete Rolle für ihn unerreichbar ist. Der General und die Erbtante haben alles Geld beim Roulette verspielt. Iwanowitsch, selbst ein Spieler mit einem großen Gewinn, erhofft sich jetzt allen seine große Überlegenheit zeigen zu können. Alles hängt für ihn vom Geld ab, das Geld tritt an die Stelle der Liebe.

Sein ganzes Denken wird von Verlust und Gewinn eingenommen, er spielt weiter, verliert und letztlich landet er in einer niedrigeren Stellung als zuvor und lebt weiter in der Illusion, dass mit dem nächsten großen Gewinn er endlich die Geltung erlangt, die er erhofft, er meidet die Realität und erfährt beim Spiel die Erhöhung.

In dem Film „Haus der Spiele“ ist die Protagonistin eine Psychotherapeutin, die sich hauptsächlich mit Zwangskrankheiten beschäftigt. Über einen Patienten gerät sie in die Faszination des Spielens, lässt sich in die Geheimnisse von Trickbetrügern und Pokerspielern einweihen, gerät in den Bann dieses Geschehens, setzt Geld ein, verliebt sich und spielt selbst. Sie gerät in den Zwang der Spielsucht. Am Ende erkennt sie, dass sie selbst betrogen wurde. Sie erschießt den Betrüger/Liebhaber und ist von diesem Zwang befreit.

Spieler sind in überwältigender Mehrheit Männer.

Die Organisation „Anonyme Spieler“, die aus den „Anonymen Alkoholikern“ hervorgegangen ist, erklärt den Spieler psychologisch:

Der Spieler sei unfähig, die Wirklichkeit zu akzeptieren.

Es bestehe eine emotionale Unsicherheit, der Spieltisch o.ä. sei der einzige Platz sich aufgehoben zu fühlen.

Der Spieler sei unreif, es bestehe das starke Verlangen, alle guten Dinge, die das Leben zu bieten hat ohne große Anstrengungen zu bekommen, es werde vermieden, Verantwortung für sein Leben zu übernehmen.

Der Spieler lebe in einer Traumwelt: es bestehe der starke Wunsch „der Größte“ zu sein, alles dafür zu tun, um dieses Bild von sich aufrecht zu erhalten.

Süchtige Spieler wollen unbewusst verlieren, um sich selbst zu bestrafen.

Allan Guggenbühl deutet den Spieler in seinem Buch „Männer, Mythen, Mächte“ (5) als jemanden , der durch die kontrollierte Katastrophe am Spieltisch versucht, einen existentiellen Niedergang zu inszenieren. Der Spieler geht an die Grenzen seiner Existenz. Er verspürt den existentiellen Horror am eigenen Leib, begegnet dem mythischen Horror – und lebt immer noch. Spielsucht müsse als Leiden verstanden werden, den mythischen Bezug zum Leben verloren zu haben.

Lebendige Mythen seien Begründungsgeschichten, die das „Leben draußen“ – die Psychologie draußen - erklären und dank derer wir uns handelnd und denkend in unser Umfeld einbringen können.

Die Tiefensychologie gibt Antworten aus der inneren Dynamik des Menschen. Die Mythologie beschreibt die äußere Dynamik.

Nach Guggenbühls Meinung leben Männer mehr in der mythologischen Welt, Frauen eher in der psychologischen.

So leben Männer im Spiel und der Zerrform der Spielsucht

ihren verlorengegangen mythischen Bezug, hier den Schatten der Grandiosität.

Die Spieler wagen nicht den wirklichen Kampf um etwas im Leben. Sie bleiben im anonymen öffentlichen Raum der Spielhallen, Casinos, des World Wide Web/dem Internet, der Börse, - ohne Bezug zur realen Welt mit lebendigen Menschen und lebendigem Tun, dem Kampf für eine Gemeinschaft.

Das Streben nach Geld und Geltung ist eine einseitige Haltung, ebenso wie die Suche nach dem mythologischen Leben über das Spiel oder auch Extremsportarten wie Bungeejumping, Extremalpinismus etc..

Der Spieler hat – etwas pathetisch gesagt – seine Seele verloren, die Psyche. Er kann mit den Frauen (so gesehen in den Beispielen auch aus Literatur und Film) als Verkörperung seiner Weiblichkeit nichts anfangen. Der Spieler kennt sie nicht und fürchtet diese verbindende Kraft. Das ursprüngliche Leben der weiblichen Fortuna, deren Rad unser natürliches zyklisches Leben verkörpert, mit dem Leiden und der Freude, Tod und Geburt in und auf diesem Rad, ist verdrängt worden.

Mit wem also muss sich Hermes vermählen?

Mit wem Fortuna?

Anmerkungen:

Mario Jacoby, Sehnsucht nach dem Paradies. Fellbach 1980, gibt in seinem Buch einen umfangreichen Überblick über Mythologie und tiefenpsychologische Sicht der Glückssehnsucht.

Joseph von Eichendorff, Sämtliche Werke Bd. 7, Mundus-Verlag

Dies ist natürlich nur ein Bruchteil des Bedeutungsgehaltes des komplexen Archetypus Hermes/Merkur. S.a. Stichwort Hermes in: Das geheime Wissen der Frauen. Einlexikon von Barbara G.Walker. Frankfurt 1983

Fjodor M. Dostojewski, Der Spieler. München 1981

Allan Guggenbühl, Männer, Mythen, Mächte. Was ist männliche Identität? Stuttgart 1994. Darin besonders S. 187ff.

Esther Böhlcke. Jg.`49 . Gestaltsoziotherapie und Bewegungspädagogik. Arbeit in Beratungsstelle in Hannover und freier Praxis mit einzelnen Erwachsenen, Gruppen, Paaren, Supervision. Arbeit mit Träumen, Aktive Imagination, Bewegungsarbeit und „Orientierung in Zeit und Raum“.

Vorstand der C.G.Jung-Gesellschaft Hannover e.V., Mitglied der DGAP

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© 2017 Esther Böhlcke